Änderung der Versammlungsstättenverordnung
Stellungnahme zur Änderung der Versammlungsstättenverordnung (VStättV) in Bayern: Zum 07.12.2012 wurde in Bayern als erstes Bundesland folgende Änderung in der Versammlungsstättenverordnung (kurz: VStättV) erlassen. Demnach fallen künftig Freiluftveranstaltungen ohne feste Tribünen nicht mehr in den Anwendungsbereich der VStättV.
VStättV Bayern NEU (Ab 07.12.2012):
§ 1 Anwendungsbereich
(1) Die Vorschriften dieser Verordnung gelten für den Bau und Betrieb von …
2. Versammlungsstätten im Freien mit Szenenflächen sowie Freisportanlagen jeweils mit Tribünen, die keine fliegenden Bauten sind und insgesamt mehr als 1 000 Besucher fassen;
VStättV Bayern ALT (Bis 07.12.2012):
§ 1 Anwendungsbereich
(1) Die Vorschriften dieser Verordnung gelten für den Bau und Betrieb von …
2. Versammlungsstätten im Freien mit Szenenflächen, deren Besucherbereich mehr als 1000 Besucher fasst und ganz oder teilweise aus baulichen Anlagen besteht;
Begründung bezüglich der Änderung (Oberste Baubehörde Bayern):
a)Die bisherige Regelung bezüglich Versammlungsstätten im Freien mit Szenenflächen bedarf der Konkretisierung. Die Abgrenzung zwischen „Veranstaltungen im Freien“ und „Versammlungsstätten im Freien“ hat zu Schwierigkeiten geführt. Typische Versammlungsstätten im Freien sind sog. Freilichttheater, Anlagen für den Rennsport oder Reitbahnen sowie Sportstadien – also ortsfeste, auf Dauer angelegte Anlagen mit tribünenartiger Anordnung der Besucherbereiche. Das Vorhandensein von Szeneflächen und Tribünen und deren Verkoppelung mit dem dauerhaften Nutzungszweck der Anlage sind Voraussetzungen, um unter die Regelung zu fallen; temporäre Veranstaltungen wie Musikfestivals auf Freiflächen werden nicht erfasst. Werden bei solchen Veranstaltungen Tribünen (und Bühnen) aufgestellt, handelt es sich um Fliegende Bauten; die Genehmigung Fliegender Bauten regelt § 76 MBO. Der Anwendungsbereich der Muster-Versammlungsstättenverordnung (MVStättV) wird entsprechend angepasst.
Offensichtliche Lockerung mit Tücken
Die Änderung der VStättV könnte allerdings den falschen Eindruck erwecken, dass für Veranstaltungen, die nun nicht mehr in den Anwendungsbereich der VStättV fallen, bspw. kein Sicherheitskonzept mehr benötigen würden und auch andere bisher gültige Sicherheitsüberlegungen nicht mehr anzuwenden seien.
Im Rahmen der Verkehrssicherungspflichten hat der Veranstalter das Erforderliche und Zumutbare zu unternehmen, um Schäden von seinen Besuchern fernzuhalten. Insoweit müsste erforderlich und zumutbar sein, dass sich der Veranstalter bei Veranstaltungen, die aus dem Anwendungsbereich nach der Änderung herausfallen, trotzdem zumindest an den Regelungen der VStättV orientiert. Des Weiteren stellen neben der VStättV mehr als 140 Regelwerke je nach Veranstaltungsart und -größe entsprechende Forderungen an Veranstaltungen.
Erlaubnispflicht und Untersagung
Gemäß Art. 19 Abs. 3 Nr. 3 LStVG (Landesstraf- und Verordnungsgesetz) bedarf eine öffentliche Veranstaltung der Erlaubnis, wenn zu einer Veranstaltung, die außerhalb dafür bestimmter Anlagen stattfinden soll, mehr als eintausend Besucher zugleich zugelassen werden sollen.
Soweit also eine Veranstaltung nicht mehr in einer der VStättV unterfallenden Versammlungsstätte stattfindet, sondern „außerhalb dafür bestimmter Anlagen“, und mehr als 1.000 Besucher zeitgleich eingelassen werden sollen, dann ist die Veranstaltung erlaubnispflichtig.
Der Gesetzgeber hat also erkannt, dass Veranstaltungen dieser Größenordnung, zumal sie außerhalb der genehmigten und Sondervorschriften unterfallenden Versammlungsstätten stattfinden, derart risikobehaftet sind, dass sie einer Erlaubnis bedürfen. Abgesehen vom Kriterium der Szenenfläche unterfielen diese Veranstaltungen früher tendenziell der alten VStättV.
Gemäß Art. 19 Abs. 4 LStVG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn es zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter oder zum Schutz vor erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen für die Allgemeinheit oder Nachbarschaft oder vor erheblichen Beeinträchtigungen der Natur oder Landschaft erforderlich erscheint. Das gleiche gilt, sofern andere öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen.
Nach Art. 19 Abs. 5 LStVG können die Gemeinden, für motorsportliche Veranstaltungen die kreisfreien Gemeinden und Landratsämter, zum Schutz der in Absatz 4 Satz 1 bezeichneten Rechtsgüter Anordnungen für den Einzelfall für die Veranstaltung öffentlicher Vergnügungen und sonstiger Vergnügungen treffen.
Der Schutz der in Abs. 4 genannten Rechtsgüter legitimiert also im Regelfall ein behördliches Einschreiten (so auch VG München, Beschluss vom 25.09.2009, Az. M 22 S 09.4500), im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 Nr. 3 ist ein behördliches Einschreiten geboten.
Fazit der Autoren
Nach Ansicht der Unterzeichner erscheint es erforderlich, wenn sich die Behörde bei Veranstaltungen, die nach der Änderung der VStättV in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, jedenfalls an den Vorschriften der VStättV orientiert. Denn nicht umsonst waren die dortigen Vorschriften lange genug Maßstab für sichere Veranstaltungen. Dass der Verordnungsgeber künftig temporäre Veranstaltungen wie Musikfestivals auf Freiflächen nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Baubehörden sehen will, ändert nichts daran, dass diesen Veranstaltungen ein hohes Risiko innewohnt.
Gerade weil solche Veranstaltungen nicht in festen Versammlungsstätten stattfinden, die gewissen Vorschriften unterliegen, besteht die Gefahr einer Regelungslücke. Das zurzeit viel diskutierte Sicherheitskonzept, das gemäß § 43 VStättV zu erstellen ist bei Versammlungsstätten mit mehr als 5.000 Besucherplätzen oder wenn es „die Art der Veranstaltung“ erfordert, ist nach der neuen VStättV für temporäre Veranstaltungen wie Musikfestivals auf Freiflächen nicht mehr gefordert. Allerdings hat auch die VStättV erkannt, dass ein Sicherheitskonzept erforderlich ist, wenn es „die Art der Veranstaltung“ erfordert, unabhängig von ihrer Größe.
Änderung der Zuständigkeit bei einer Genehmigung
Gemäß § 47 VStättV ist und war die zuständige Bauaufsichtsbehörde auch bei Veranstaltungen von mehr als 200 Besuchern, die nur vorübergehend in Räumen durchgeführt wurden, die nicht den Vorschriften der VStättV entsprechen, berechtigt bzw. verpflichtet, Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO zu treffen.
Für Veranstaltungen außerhalb der VStättV greift in Bayern die Verordnung über die Verhütung von Bränden (VVB). Im Vergleich zur VStättV enthält sie aber keinen umfassenden Schutz für Veranstaltungen. Gerade das in der VStättV vorgeschriebene Sicherheitskonzept fehlt in der VVB.
Zuständig für die Genehmigungen sind nun die Ordnungsbehörden und nicht mehr die Bauaufsichtsbehörden.
Mehr Regelwerke, schlechterer Überblick
Des Weiteren fordern immer mehr Regelwerke aus dem Arbeitsschutz detaillierte Umsetzungspflichten hinsichtlich der Sicherheit der Beschäftigten, welche den allgemeinen Stand der Technik und Verkehrssicherungspflichten darstellen und somit ebenso rechtliche Grundlage für die Besuchersicherheit sein können. Dies bedeutet aktuell, dass die Verantwortlichen sich an einer Fülle von Regelwerken bedienen und halten müssen.
Im Übrigen stellt auch die Sonderbauvorschrift VStättV(O) den Stand der Technik dar.
Da insbesondere das Sicherheitskonzept, ebenso wie bspw. auch die Anwesenheitspflicht des Verantwortlichen, maßgeblich zum Schutz von den in Art. 19 Abs. 4 LStVG genannten Rechtsgütern beitragen, erscheint es nach Auffassung der Unterzeichner geboten, zumindest bei Veranstaltungen in der Größenordnung der erlaubnispflichtigen Veranstaltungen i.S.d. Art. 19 Abs. 3 LStVG die Anwendung relevanter Vorschriften der VStättV anzuordnen. Als Beispiele für solch relevante Vorschriften können insbesondere genannt werden:
- Bemessung und Führung der Rettungswege (§§ 6, 7 und 31 VStättV i.V.m. §§ 20 Abs. 1 und 2, 22 VBB),Stellplätze für Menschen mit Behinderungen (§ 13 VStättV),
- Sicherheitsstromversorgung, Sicherheitsbeleuchtung (§§ 14, 15 VStättV),
- Feuerlöscheinrichtungen (§ 19 VStättV),
- Räume für Polizei, Feuerwehr, Sanitäts- und Rettungsdienst (§ 26 VStättV),
- Abschrankungen, Wellenbrecher (§§ 27-30 VStättV),
- Bestuhlung, Bestuhlungs- und Rettungswegpläne (§§ 10, 32 VStättV),
- Brandschutzanforderungen an Ausschmückungen, Requisiten etc. (§§ 21, 33, 34 VStättV i.V.m. der VVB),
- Anforderungen und Pflichten an den Veranstalter (i.S.d. VStättV wäre dies der Betreiber), bzw. Veranstaltungsleiter oder den Verantwortlichen für Veranstaltungstechnik (§§ 38-40 VStättV),
- Bestellung einer Brandsicherheitswache (§ 41 VStättV),
- Forderung eines Sicherheitskonzeptes (§ 43 VStättV).
- Forderung des Ordnungsdienstes, des Leiters und der Aufgaben.
Regelungslücke ist entstanden
Der Verordnungsgeber hat mit der Änderung der VStättV (versehentlich) eine Regelungslücke geschaffen; jedenfalls sind gute Gründe für die Änderung nicht erkennbar, ohne dass anderweitig ein Ausgleich geschaffen wäre.
Mithin fehlen künftig Regelungen für die vorstehend beschriebenen Veranstaltungsarten (Freiluftveranstaltungen ohne feste Tribünen), obgleich das Gefahrenpotential nicht minder groß ist als bei Veranstaltungsarten, für die konkrete Vorschriften bestehen. Hinzu kommt, dass gerade bei temporären Veranstaltungen in bzw. auf temporär genutzten Veranstaltungsflächen die praktische „Übung“ und entsprechende Erfahrungswerte fehlen, wie sie bei ständig genutzten Veranstaltungsstätten bestehen.
Im Rahmen des LStVG und der Allgemeinverpflichtung des Staates sind daher anderweitig, sprich im Wege der vorgenannten Anordnungen, die gebotenen Anforderungen sicherzustellen.
Abhilfe könnte ein „Veranstaltungsgesetz“ schaffen, das nicht nur dem Veranstalter, sondern auch den Genehmigungsbehörden ein einheitliches Grundgerüst an Regelwerk zur Seite stellt.
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Autoren:
RA Thomas Waetke, Karlsruhe;
Hartmut H. Starke Gewerbeaufsichtsbeamter i.R., Hannover
Michael Öhlhorn, Sicherheitsfachmann für Versammlungsstätten (Vabeg, TÜV Saarland), Donauwörth
www.vabeg.com